Redebeitrag “Kundgebung gegen den antisemitischen Terror”

Nach den Ereignissen in Halle am 09.10.19 haben die Falken Jena spontan eine Kundgebung am Holzmarkt angemeldet. Auf Grund der Dringlichkeit ist der Redebeitrag kurzfristig entstanden und nur ein erster Versuch das Geschehen einzuordnen.

Redebeitrag:

Heute kam es in Halle zu einem Angriff auf die Synagoge in der Humboldtstraße, nahe dem jüdischen Friedhof. Mindestens zwei Personen wurden getötet. Medien berichten, dass auch auf einen Dönerladen geschossen wurde.

Heute ist Jom Kippur, das ist der höchste Feiertag im jüdischen Glauben. Es ist offensichtlich, dass dieser Tat ein antisemitisches Weltbild zu Grunde liegt, das heute tödliche Konsequenzen hatte. Dass der heutige Anschlag auf Jom Kippur fällt, ist in mehrfacher Hinsicht als Symbol zu verstehen. Dieser Tag wird auch als Versöhnungstag bezeichnet. Er steht für die Versöhnung mit Gott und für die Befreiung von Sünden gegenüber Gott. Ebenso dient er der Versöhnung mit den jeweils Nächsten.

An Jom Kippur fastet eine Vielzahl von Menschen, die dem jüdischen Glaubenangehören. Ebenso werden alle Tätigkeiten niedergelegt, die gemäß der Halacha als Arbeit definiert sind. Historisch wurde die Lähmung und Verwundbarkeit desjüdischen Staates Israel an diesem Feiertag im Oktober 1973 von seinen Feinden zu Beginn des Jom-Kippur-Krieges ausgenutzt. Seitdem werden in Israel an diesem Tagein „stilles“ Radio und Fernsehen ausgestrahlt. Diese senden zwar kein Programm, stehen aber im Notfall bereit, um Mitteilungen zu senden. Das zeigt, dass dieser Tag von Juden und Jüdinnen weltweit angesichts einer allgegenwärtigen antisemitischen Bedrohung immer auch mit Angst verbunden ist. An einem solchen Tag der Versöhnung und des Fastens eine so grausame Tat zubegehen ist also in mehrfacher Hinsicht perfide.

Gerade in Deutschland kommt es an vielen Orten und in unterschiedlichen Situationen immer wieder zu verbaler aber auch körperlicher Gewalt gegen Personen, die sich zum jüdischen Glauben bekennen. Längst nicht in allen Fällen wird dabei derantisemitische Hintergrund der Tat beleuchtet, geschweige denn gibt es eineangemessene Debatte über das Fortbestehen antisemitischer Ideologien in Deutschland.

Im Gegenteil. Wir leben in Zeiten, in denen Parteien in Deutschland im Wahlkampfmit antisemitischen Erzählungen auftreten, den jüdischen Staat Israel delegitimieren und dadurch an einer Grundstimmung mitwirken, in der Juden und Jüdinnen tagtäglich antisemitische Anfeindungen, Hass und Gewalt erleben. Hass und Gewalt im Kindergarten und in der Schule, auf offener Straße und in sozialen Netzwerken, auf der Arbeit, vor der Haustür, in den eigenen vier Wänden. Der heutige Anschlag ist als eine weitere Spitze dieser allgegenwärtigen Situation zu verstehen.

Dass der Täter einen nahegelegenen Dönerladen und die Menschen dort angriff und eine Person tötete, macht deutlich, dass diese Tat auch zutiefst rassistisch geprägt ist. Die symbolische Nähe zu den Morden des NSU-Komplexes sticht hierbei ins Auge. Die Kontinuität rechtsradikaler Ideologien zeigte sich ein weiteres mal durch die heutige Tat.

Fassungslos, wütend und beängstigt über die Verhältnisse, die solch mörderischeTaten bedingen, stellen wir uns kämpferisch gegen sie! Unsere Solidarität gilt allen Betroffenen jeder Form antisemitischer und rassistischer Gewalt! Wir möchten im Anschluss an diesen Redebeitrag das Angebot machen, sich mit den Umstehenden und Teilnehmenden über die heutigen Ereignisse auszutauschen. Zu diesem Zweck werden wir die Kundgebung noch eine Weile aufrechterhalten.

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