Redebeitrag „Lieber mit Faschisten regieren, als nicht regieren“

Am heutigen Tag, gegen halb 2 wurde der FDP-Vorsitzende Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des thüringischen Landtages gewählt. Nachdem zuvor zwei Wahlgänge ergebnislos verliefen und es der Minderheitskoalition aus Linken, SPD und Grünen nicht gelang eine Mehrheit für den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu gewinnen, ließ sich Kemmerich im dritten Wahlgang als Gegenkandidat aufstellen. Thomas Kemmerich muss in diesem Moment klar gewesen sein, dass seine Kandidatur dazu führen werde, dass die faschistische AfD, allein schon um eine weitere Legislatur Ramelows zu verhindern, am Ende für ihn Stimmen würde. Eben diese Entwicklung ist eingetreten und so wurde Kemmerich mit einer einfachen Mehrheit aus CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. FDP und CDU haben dies willentlich in Kauf genommen. Ihr blinder Antikommunismus gegen einen sozialdemokratischen Bodo Ramelow wiegt offensichtlich schwerer als jedes Lippenbekenntnis gegen eine Zusammenarbeit mit Faschisten. Dass Bodo Ramelow abgewählt wurde war Kemmerich, der, falls er von dem Trick der AfD nichts wusste, immer noch die Wahl hätte ablehnen können, augenscheinlich wichtiger als das so oft proklamierte demokratische Zusammenhalten gegen die AfD. Das Kemmerich in einem Pressestatement nach der Sitzung betont er sei Anti-AfD ist blanker Hohn.

Das eine bürgerliche und rechtsoffene Partei wie die FDP mit den Faschist*innen der AfD gemeinsame Sache macht, ist besorgniserregend, verwundert uns jedoch keineswegs. Rechtsextremes Gedankengut ist in Deutschland schon lange wieder salonfähig, der bürgerliche Konsens, zu dem auch – insbesondere in Thüringen – die Linkspartei gehört, verschiebt sich kontinuierlich nach rechts. Wir erinnern uns noch gut an die Aufhebung des Winterabschiebestops durch Bodo Ramelow nach seinem Amtsantritt als Thüringer Ministerpräsident.

Obwohl uns diese Entwicklung nicht überrascht, sehen wir trotzdem eine neue politische Eskalationsstufe erreicht. Das bürgerlich-konservative Lager scheut sich nicht mehr, ganz schamlos und offen, mit Faschist*innen gemeinsame Sache zu machen. Deshalb werden wir den heutigen Anlass nutzen, um erneut, wie in den vergangenen Monaten schon so häufig, auf die Gefahr hinzuweisen, die von der AfD mit ihrer sozialchauvinistischen und rassistischen Exklusionspolitik ausgeht:

Seit ihrer Gründung 2013 hat die AfD eine beachtliche Parteikarriere hingelegt: In den vergangenen Jahren ist es ihr gelungen, in alle Landesparlamente und auch in den Bundestag einzuziehen. Dabei hat sich die AfD seit ihrer Gründung kontinuierlich radikalisiert. Treibende Kraft dahinter ist Bernd Höcke mit seiner eigenen, seit 2015 aktiven innerparteilichen Propagandaplattform ‚Der Flügel‘. Inzwischen dominiert dieser Kreis vor allem die ostdeutschen Landesverbände und war maßgeblich für beide Parteispaltungen der AfD verantwortlich: 2015 wurden Bernd Lucke und 2017 Frauke Petry als Parteivorsitzende verdrängt. Hintergrund ist Höckes Ziel die AfD einerseits als Bewegungspartei auszurichten, also statt parlamentarische Partei zu sein auch eine Bewegung auf der Straße zu haben. Das bedeutet beispielsweise den organisierten Schulterschluss mit Pegida in Dresden zu vollziehen. Andererseits geht es ihm darum, die AfD als völkisch-nationalistische Partei festzulegen, also im Kern rassistische Politik zu betreiben. Die AfD will Politik für ‚das deutsche Volk‘ machen. Das ist für sie nicht identisch mit den hier lebenden Menschen, nicht einmal mit den in Deutschland wahlberechtigten Menschen. Was Deutsch ist, ist für ‚den Flügel‘ eine Frage des biologischen und kulturellen Stammbaums.

Als ideologischer Think-Tank und Funktionärsschmiede dient dem Kreis um Höcke vor allem das ‚Institut für Staatspolitik‘ (IfS) von Götz Kubitscheck. Die dem Selbstverständnis nach ‚Intellektuellen der Neuen Rechten‘ sind ideologisch der ‚konservativen Revolution‘ der 20er Jahre verpflichtet. Diese ideologische Strömung war der gedankliche und politische Steigbügelhalter des Nationalsozialismus. Stichwortgeber dieses Denkens sind Armin Mohler, der sich selbst als Faschist bezeichnete, oder der Franzose Alain De Benoist, dessen politische Karriere in militant-faschistischen Kleingruppen begann. Es verwunderte also kein bisschen, als Höcke und Konsorten am 1. September 2018 in Chemnitz den offenen Schulterschluss mit Neonazis demonstrierten – weit über die Szenegrenzen Sachsens hinaus. Wer meint, die AfD noch in einen ‚neoliberalen‘ und ‚nationalen‘ Flügel ausdifferenzieren zu müssen, muss enttäuscht werden. Personenbezogen gibt es zwar graduelle Abstufungen, aber der Gesamtcharakter der Partei wurde in Chemnitz demonstriert.

Jetzt will sich die AfD und insbesondere Höckes ‚Flügel‘ der Sozialpolitik widmen. Was bedeutet das? Andreas Kalbitz, AfD-Chef in Brandenburg und Höckes rechte Hand im ‚Flügel‘, hielt darüber 2018 eine Rede im IfS. Er sieht ethnisch definierte Deutsche als Adressat*innen von Sozialpolitik, die Werkzeug zum „Erhalt der autochthonen Struktur unserer Gesellschaft“ sein müsse mit dem Ziel „eine weitestgehende Homogenität der autochthonen Bevölkerung“ herzustellen. In einem Satz: Sozialpolitik müsse der Reinheit des ‚deutschen Volksköpers‘ dienen. AfD-Sozialpolitik fragt nicht nach den sozialen Zumutungen und Härten die konkrete Menschen – also Dich – betreffen, sondern nach den Stellschrauben für eine einheitliche, gleichartige Gemeinschaft.

Wie diese völkische Gemeinschaft strukturiert sein soll, demonstrieren die Schwerpunkte dieser Sozialpolitik. Kalbitz betrachtet Familien und Kinder „als wichtigste Ansatzpunkte für den Erhalt unseres Landes und auch unseres Volkes.“ Mal ganz abgesehen davon, dass es in erster Linie um ethnisch-deutsche Familien geht, drückt sich hier eine patriarchale Gemeinschaftsvorstellung aus. Es geht ausschließlich um ‚klassische Familien‘, in denen Frauen den Haushalt und die Kinderbetreuung übernehmen, die Männer der Lohnarbeit nachgehen. Alleinerziehenden oder gleichgeschlechtlichen Eltern haben sie folgerichtig nichts anzubieten. Durch die Ersetzung von Sozialpolitik durch Volkstumspolitik ist es auch nur konsequent keine inhaltliche Arbeiter*innenpolitik zu verfolgen. In den vergangenen Jahren trat der Thüringer Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl, ebenfalls Höcke-Vertrauter, mit seinem ‚Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland‘ medienwirksam in Erscheinung. Das als ‚alternative Gewerkschaft‘ angepriesene Propagandaprodukt wollte im vergangenen Jahr mit großem Pomp die Betriebsräte völkisch besetzen, allerdings trat ‚ALARM‘ nicht einmal zu den Wahlen an.

Oder die nationalistische Spartengewerkschaft ‚Zentrum Automobil‘, eng verzahnt mit der ‚Identitären Bewegung‘ und Kubitschecks ‚IfS‘. Ihr Hauptgegner sind nicht schlechte Arbeitsverhältnisse oder die Betriebsleitung, sondern die ‚Monopolgewerkschaften‘. Selbsterklärter Zweck ist der Einsatz für ‚Patrioten‘, letzten Endes also die Verteidigung rassistischer und nationalistischer Positionen im Betrieb. Diese Initiativen können weder inhaltlich noch organisatorisch etwas anbieten. Wie auch, die AfD bekämpft Tariflöhne.

Ein Blick ins Ausland lässt erahnen, was geschieht, wenn die AfD ihre Politik umsetzen kann. Ihre Geschwister im Geiste in Ungarn und Österreich machen es vor. In Ungarn ist es seit 2018 möglich bis zu 400 Überstunden pro Jahr leisten zu müssen, während sich Arbeitgebende für Ausgleich oder Auszahlung bis zu drei Jahre Zeit lassen können. Und das umgarnt von rassistischer und antisemitischer Rhetorik, Gängelung der Pressefreiheit, Beschneidung demokratischer Rechte und Kampf gegen freie Kultur. In Österreich erleichterte das Parlament 2018 nachhaltig die Rahmenbedingungen durch Arbeitgeber*innen den Arbeitstag wieder auf 12 Stunden auszudehnen.

In der organisch, also biologisch, gedachten Gemeinschaft haben Arme keinen Platz, genauso wie berufliche und körperliche Selbstbestimmung von Frauen*, individuelle Lebensentwürfe, kontroverse Kultur oder Menschen verschiedener Herkunft. Mit der AfD entledigt sich das Proletariat nicht seinen Ketten, sondern seinen nicht-deutschen Nachbarn.

Indem CDU und FDP, wie es am heutigen Tag geschehen ist, gemeinsame Sache mit der AfD machen, verhelfen sie derartigen Positionen – ob gewollt oder nicht – zu zunehmender Legitimität. SPD, Grüne und Linkspartei schauen dabei bedrappelt zu. So zeigt sich diese Tage wieder einmal, das auf die etablierten Parteien – mit wenigen Ausnahmen wie der Landtagsabgeordneten und Antifaschistin Katharina König-Preuss – im Kampf gegen den Faschismus kein Verlass ist. Ebenso wenig zählen wir dabei auf den Großteil der deutschen Bevölkerung. Es bleibt uns nur, uns den Faschist*innen wo wir können entschieden entgegenzustellen. Ansonsten besteht die scheinbar unlösbare Aufgabe weiterhin darin, „weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“

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