Der 1. Mai ist wichtiger Bezugspunkt der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung.
Am 1. Mai 1886 begann in Chicago ein Streik gegen den 12-Stunden-Tag und schlechte Löhne. Der mehrtägige Streik mündete im sogenannten ‚Haymarket Riot‘, wo bei Auseinandersetzungen Streikende von der Polizei erschossen wurden. Seitdem ist der 1. Mai weltweit Kampftag der Arbeiter*innen für ihre Rechte. Auch wir Falken tragen an diesem internationalen Tag unsere Kritik und Forderungen auf die Straße. Gleichzeitig erteilen wir völkischen Nationalisten eine klare Absage. Denn sowohl in der Vergangenheit, als auch heute versuchen alte und neue Rechte diesen Tag für sich in Anspruch zu nehmen. Anstatt aber diesen Tag als einen internationalen zu begehen, sehen sie ihn als Tag der ‚nationalen Arbeit‘. Es waren die Nationalsozialisten, die zynisch 1933 den 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag erklärten und am Tag darauf die Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiter*innenbewegung zerschlugen und ihre Aktivist*innen ermordeten und in Konzentrationslager sperrten. Auch daran wollen wir erinnern und unterstreichen: Der 1. Mai ist international, nicht national.
Wir setzten uns ein für die Selbstorganisation der Lohnabhängigen. Anstatt Menschen verschiedener Herkunft gegeneinander auszuspielen fordern wir Solidarität ein. Denn nur gemeinsam können wir uns neoliberaler und völkischer Politik erwehren. Obwohl fast alle Chefs der ostdeutschen AfD-Landesverbände und auch ihr Chefideologe aus Westdeutschland kommen – Höcke aus Hessen, Kalbitz aus Bayern, Reichardt aus Niedersachsen, Kubitscheck aus Baden-Württemberg – appellieren sie an eine diffuse ‚Ostidentität‘. Sie wollen sich ‚westdeutschen Verhältnissen‘ erwehren, verklären die angebliche ethnische Einheitlichkeit Ostdeutschlands zum Fortschritt und versuchen die ‚Revolutionserfahrung‘ von 1989/90 für ihre Zwecke zu mobilisieren. Deshalb:
Statt nationalistischem Identitätsgemacker gegen Führer und Gefolgschaft! Gemeinsam solidarisch die soziale Frage stellen und entschlossen eigene Forderungen durchsetzen!
Seit ihrer Gründung 2013 hat die AfD eine beachtliche Parteikarriere hingelegt: In den vergangenen Jahren ist es ihr gelungen, in alle Landesparlamente und auch in den Bundestag einzuziehen. Dabei hat sich die AfD seit ihrer Gründung kontinuierlich radikalisiert. Treibende Kraft dahinter ist Bernd Höcke mit seiner eigenen, seit 2015 aktiven innerparteilichen Propagandaplattform ‚Der Flügel‘. Inzwischen dominiert dieser Kreis vor allem die ostdeutschen Landesverbände und war maßgeblich für beide Parteispaltungen der AfD verantwortlich: 2015 wurden Bernd Lucke und 2017 Frauke Petry als Parteivorsitzende verdrängt. Hintergrund ist Höckes Ziel die AfD einerseits als Bewegungspartei auszurichten, also statt parlamentarische Partei zu sein auch eine Bewegung auf der Straße zu haben. Das bedeutet beispielsweise den organisierten Schulterschluss mit Pegida in Dresden zu vollziehen. Andererseits geht es ihm darum, die AfD als völkisch-nationalistische Partei festzulegen, also im Kern rassistische Politik zu betreiben. Die AfD will Politik für ‚das deutsche Volk‘ machen. Das ist für sie nicht identisch mit den hier lebenden Menschen, nicht einmal mit den in Deutschland wahlberechtigten Menschen. Was Deutsch ist, ist für ‚den Flügel‘ eine Frage des biologischen und kulturellen Stammbaums.
Als ideologischer Think-Tank und Funktionärsschmiede dient dem Kreis um Höcke vor allem das ‚Institut für Staatspolitik‘ (IfS) von Götz Kubitscheck. Die dem Selbstverständnis nach ‚Intellektuellen der Neuen Rechten‘ sind ideologisch der ‚konservativen Revolution‘ der 20er Jahre verpflichtet. Diese ideologische Strömung war der gedankliche und politische Steigbügelhalter des Nationalsozialismus. Stichwortgeber dieses Denkens sind Armin Mohler, der sich selbst als Faschist bezeichnete, oder der Franzose Alain De Benoist, dessen politische Karriere in militant-faschistischen Kleingruppen begann. Es verwunderte also kein bisschen, als Höcke und Konsorten am 1. September 2018 in Chemnitz den offenen Schulterschluss mit Neonazis demonstrierten – weit über die Szenegrenzen Sachsens hinaus. Wer meint, die AfD noch in einen ‚neoliberalen‘ und ‚nationalen‘ Flügel ausdifferenzieren zu müssen, muss enttäuscht werden. Personenbezogen gibt es zwar graduelle Abstufungen, aber der Gesamtcharakter der Partei wurde in Chemnitz demonstriert.
Jetzt will sich die AfD und insbesondere Höckes ‚Flügel‘ der Sozialpolitik widmen. Was bedeutet das? Andreas Kalbitz, AfD-Chef in Brandenburg und Höckes rechte Hand im ‚Flügel‘, hielt darüber 2018 eine Rede im IfS. Er sieht ethnisch definierte Deutsche als Adressat*innen von Sozialpolitik, die Werkzeug zum „Erhalt der autochthonen Struktur unserer Gesellschaft“ sein müsse mit dem Ziel „eine weitestgehende Homogenität der autochthonen Bevölkerung“ herzustellen. In einem Satz: Sozialpolitik müsse der Reinheit des ‚deutschen Volksköpers‘ dienen. AfD-Sozialpolitik fragt nicht nach den sozialen Zumutungen und Härten die konkrete Menschen – also Dich – betreffen, sondern nach den Stellschrauben für eine einheitliche, gleichartige Gemeinschaft.
Wie diese völkische Gemeinschaft strukturiert sein soll, demonstrieren die Schwerpunkte dieser Sozialpolitik. Kalbitz betrachtet Familien und Kinder „als wichtigste Ansatzpunkte für den Erhalt unseres Landes und auch unseres Volkes.“ Mal ganz abgesehen davon, dass es in erster Linie um ethnisch-deutsche Familien geht, drückt sich hier eine patriarchale Gemeinschaftsvorstellung aus. Es geht ausschließlich um ‚klassische Familien‘, in denen Frauen den Haushalt und die Kinderbetreuung übernehmen, die Männer der Lohnarbeit nachgehen. Alleinerziehenden oder gleichgeschlechtlichen Eltern haben sie folgerichtig nichts anzubieten. Durch die Ersetzung von Sozialpolitik durch Volkstumspolitik ist es auch nur konsequent keine inhaltliche Arbeiter*innenpolitik zu verfolgen. In den vergangenen Jahren trat der Thüringer Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl, ebenfalls Höcke-Vertrauter, mit seinem ‚Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland‘ medienwirksam in Erscheinung. Das als ‚alternative Gewerkschaft‘ angepriesene Propagandaprodukt wollte im vergangenen Jahr mit großem Pomp die Betriebsräte völkisch besetzen, allerdings trat ‚ALARM‘ nicht einmal zu den Wahlen an.
Oder die nationalistische Spartengewerkschaft ‚Zentrum Automobil‘, eng verzahnt mit der ‚Identitären Bewegung‘ und Kubitschecks ‚IfS‘. Ihr Hauptgegner sind nicht schlechte Arbeitsverhältnisse oder die Betriebsleitung, sondern die ‚Monopolgewerkschaften‘. Selbsterklärter Zweck ist der Einsatz für ‚Patrioten‘, letzten Endes also die Verteidigung rassistischer und nationalistischer Positionen im Betrieb. Diese Initiativen können weder inhaltlich noch organisatorisch etwas anbieten. Wie auch, die AfD bekämpft Tariflöhne.
Ein Blick ins Ausland lässt erahnen, was geschieht, wenn die AfD ihre Politik umsetzen kann. Ihre Geschwister im Geiste in Ungarn und Österreich machen es vor. In Ungarn ist es seit 2018 möglich bis zu 400 Überstunden pro Jahr leisten zu müssen, während sich Arbeitgebende für Ausgleich oder Auszahlung bis zu drei Jahre Zeit lassen können. Und das umgarnt von rassistischer und antisemitischer Rhetorik, Gängelung der Pressefreiheit, Beschneidung demokratischer Rechte und Kampf gegen freie Kultur. In Österreich erleichterte das Parlament 2018 nachhaltig die Rahmenbedingungen durch Arbeitgeber*innen den Arbeitstag wieder auf 12 Stunden auszudehnen.
In der organisch, also biologisch, gedachten Gemeinschaft haben Arme keinen Platz, genauso wie berufliche und körperliche Selbstbestimmung von Frauen*, individuelle Lebensentwürfe, kontroverse Kultur oder Menschen verschiedener Herkunft. Mit der AfD entledigt sich das Proletariat nicht seinen Ketten, sondern seinen nicht-deutschen Nachbarn. Die soziale Frage spannt sich nicht auf zwischen ‚Deutschen‘ und ‚Ausländern‘, ‚Produktiven‘ und ‚Parasiten‘. Sie entfaltet sich zwischen den Polen Arbeitgebende und Arbeitnehmende, zwischen Kapital und Arbeit. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass sich die soziale Frage nur gemeinsam, solidarisch anpacken lässt.
Wir sind Schüler*innen, Studierende und junge Erwerbstätige. Aus eigener Erfahrung und durch unsere Genoss*innen wissen wir, was es bedeutet, wenn anonyme Statistiken davon sprechen, dass in Deutschland Bildungschancen maßgeblich vom Einkommen des Elternhauses abhängen. Oder spätestens in der letzten Woche des Monats jeden Cent umdrehen zu müssen. Oder nach dem Studium nur selten Aussichten auf einen Job zu haben, für den man auch gelernt hat. Und wenn, sich meist von Befristung zu Befristung hangeln zu müssen. Zu wissen, als Frau* durchschnittlich schlechter entlohnt zu werden als Männer*, trotz gleicher Arbeit. Für Menstruationsartikel unverschämte 19 Prozent Luxussteuer zahlen zu müssen. Oder in Großstädten in kleinen WG-Zimmern zu wohnen oder gezwungen zu sein, an den Rand der Stadt zu ziehen. Die soziale Frage ist allgegenwärtig und betrifft all unsere Lebensbereiche. Welche Kleidung wir tragen, ob und wohin wir in den Urlaub fahren, in welche Schulen wir gehen, welche Lebensmittel wir konsumieren, welche Kulturangebote wir wahrnehmen und wo wir wohnen – all das wird erst eine Frage des individuellen Geschmacks, wenn wir es bezahlen können. Vollkommen egal, woher wir kommen.
Gegen diese sozialen Zumutungen organisieren wir uns gemeinsam. Den alltäglichen Ohnmachtserfahrungen setzen wir unsere Solidarität entgegen. Wir streiten für eine offene und solidarische Gesellschaft.
Darum ist es für uns klar, dass nur eine radikale Kritik und Praxis die Antwort auf die erfahrenen Zumutungen liefern kann. Es ist kein Zufall, dass eine ‚etablierte Mitte‘ mit ihren Antworten darauf immer wieder auf Standortnationalismus, Gerede vom ‚Heuschreckenkapitalismus‘ oder Bündnissen mit Sexist*innen zurück geworfen wird.
Wir erleben aber auch positive Beispiele. Eine der ersten großen politischen Niederlagen erlebten die Rechten in Polen, als ein riesiges feministisches Bündnis das geplante völlige Abtreibungsverbot kippte. Und auch die Diskussion der sozialen Frage bekommt wieder Substanz: Durch die Berliner Kampagne ‚DeutscheWohnen & Co enteignen!‘ wird von zehntausenden Menschen endlich wieder die Eigentumsfrage gestellt. Denn Wohneigentum und Eigentum an Produktionsmitteln ist nicht vom Himmel gefallen, sondern von Menschen gemacht und durchgesetzt. Die Eigentumsfrage ist deshalb notwendiger Bestandteil der sozialen Frage und stellt uns vor die Herausforderung zu diskutieren, wie wir uns eine solidarische Gesellschaft vorstellen.
Die soziale Frage ernsthaft zu stellen verlangt eine radikale Kritik der Gegenwart. Statt Zusammenzustehen gilt es solidarisch Voranzuschreiten.
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